Hallo, Frank. Zunächst einmal, herzlichen Glückwunsch zum Gewinn der Bronzemedaille bei den Olympischen Spielen in Tokio.

Frank Stäbler: Danke. Diese Bronzemedaille war die Krönung meiner sportlichen Laufbahn. Das Olympische Turnier hat in Sachen Dramaturgie zu den vergangenen Jahren gepasst. Zuerst eine umstrittene Niederlage und dann der letzte Kampf meiner internationalen Karriere ­– Bronze oder nichts. Alles hat sich enorm zugespitzt, ich war all in. Mehr ging nicht. Der Druck war außergewöhnlich groß.

Er hat dich offensichtlich nicht aufgehalten.

Stäbler: Ich habe früh in meiner Karriere erkannt, dass der mentale Bereich in meiner Laufbahn eine ganz zentrale Rolle spielen wird. Als ich zum ersten Mal Weltmeister wurde, wurde der Druck von außen, wurden die Erwartungen, die andere an mich hatten, immer größer. Ich musste hart daran arbeiten, mich davon freizumachen, um den Spaß an meinem Sport nicht zu verlieren, um den Fokus nicht zu verlieren. Ich habe danach nur noch für mich, meine Familie, für wichtige Menschen, die an mich glauben, und für junge Sportlerinnen und Sportler, die ich hoffentlich durch meinen Weg inspirieren konnte, gekämpft. Das war mein Antrieb. Für viele Sportler:innen, die medial noch sehr viel präsenter sind als ich, ist das ein schwieriger Balanceakt. Ich konnte mich zum Beispiel sehr gut in Simone Biles hineinversetzen. Ein ganzes Land schaut auf sie, alle erwarten Höchstleistungen, Rekorde, Gold. Nichts weniger. Daran kann ein Mensch zerbrechen.

Auch körperlich ist Sport auf höchstem Level enorm anspruchsvoll. Wie viele andere Ringer:innen auch, musstest du vor den Wettkämpfen viel Gewicht verlieren. Unsere Kollegin Marie Pietruschka, die in Tokio bei den Schwimmwettkämpfen an den Start ging, sagt, sie habe Ringer:innen in Frischhaltefolie eingewickelt gesehen …

Stäbler (lacht): … könnte schon sein, dass sie mich da auch gesehen hat. Wenn man bei knapp 40 Grad in Schwitzjacke und mit Mütze durchs Olympische Dorf rennt, um die letzten Kilos zu verlieren, bleibt man nicht unentdeckt. Da fassen sich nicht nur andere Sportler:innen an den Kopf, auch ich selbst tue das. Aber, das ist ein Teil des Spiels.

Das waren die letzten Schritte eines Planes, der zunächst auf vier, dann auf fünf Jahre, ausgelegt war. Wie hast du das Projekt „Olympiamedaille“ gemanagt und wann hast du den Startschuss gegeben?

Stäbler: Das war in Rio. Bei den Olympischen Spielen 2016. Ich hatte gerade verloren, saß in den Katakomben der Halle und wusste, dass ich ohne Medaille nach Hause fahre. Da hat die Planung für Tokio begonnen – für 2020. Ich bin nach der Rückkehr aus Brasilien erst einmal in ein Loch gefallen, aber nach drei Wochen habe ich mich mit meinem Team an die Ausarbeitung gemacht: kurz-, mittel- und langfristige Ziel wurden gesteckt, das große Ganze formuliert.

Wie viel von diesem Plan aus dem Jahr 2016 blieb am Ende übrig?

Stäbler: Puh, wir haben ihn ständig aktualisiert und angepasst: Irgendwann wurden die Spiele aufgrund der Corona-Pandemie verschoben, ich selbst hatte Corona, meine Schulter war kaputt, meine Gewichtsklasse wurde gestrichen. Da kann man nicht stur sein Programm durchziehen. Das große Ziel blieb aber immer dasselbe; das habe ich nie aus den Augen verloren.

Wie viel Kreativität und Improvisationskraft braucht es, um die richtigen Lösungen zu finden?

Stäbler: Beides ist wichtig. Ich würde Flexibilität und Anpassungsfähigkeit ergänzen. Wir müssen alle ständig mit neuen Herausforderungen umgehen und Umstände annehmen, die wir nicht beeinflussen können. Ich denke, das ist eine meiner Stärken: kein Lamentieren, kein Jammern, kein Beschweren. Im Gegenteil, ich freue mich auf die Herausforderung, ich mache sie zu meinem besten Freund und meistere sie mit allem, was in mir steckt. In einer Herausforderung stecken für mich immer Möglichkeiten. Ich bin überzeugt, dass diese Einstellung viele erfolgreiche Menschen verbindet: im Sport, im Beruf und im Leben allgemein.

Das richtige Team um sich zu haben, spielt gerade in schwierigen Momenten sicherlich auch eine wichtige Rolle …

Stäbler: Selbstverständlich, das ist absolut elementar. Wenn man uns Ringer:innen sieht, geht man davon aus, dass wir Einzelkämpfer sind. Das mag für die Matte stimmen, aber auf höchstem Level sind wir alle Teamplayer. Um mich herum gibt es einen Kreis von zirka 30 Menschen, denen ich vertraue, die mich kennen, die ganz nahe an mir dran sind. Jeder trägt seinen Teil dazu bei, dass ich erfolgreich sein kann. Dabei ist es für mich ganz wichtig, offen zu sein, aus eigenen und den Fehlern anderer zu lernen, mein Ego zurückzustellen und andere neben mir stark sein zu lassen.

Das ist dir sehr gut gelungen. Du warst über Jahre hinweg einer der besten Ringer der Welt. Ist es  schwierig, immer noch Ratschläge und Tipps anzunehmen, auf andere zu hören?

Stäbler: Nein, überhaupt nicht. Ich gehe diesen Sport mit großer Demut an und stelle mich niemals über andere. Ich begegne allen Menschen auf Augenhöhe und bin überzeugt, dass alles, was ich gebe auch wieder zu mir zurückkommt. Arroganz und Überheblichkeit bringen dich im Leben nicht voran. Zudem habe ich den Ehrgeiz, mich immer weiterzuentwickeln, nie stehen zu bleiben. Um das zu schaffen, brauche ich die richtigen Menschen um mich herum.

Und dennoch: du bist das Zentrum dieses Teams, du übernimmst die Führung. Wie gehst du diese Aufgabe an?

Stäbler: Im Prinzip führe ich mein eigenes, kleines Unternehmen. Ich hatte immer große Ziele und wollte sportlich die Welt erobern. Da müssen alle mitziehen, die ein Teil davon sind. Deshalb gibt es klare Regeln, die für alle gelten – auch für mich. Zum Beispiel ist Unpünktlichkeit keine Option. Da bin ich sehr konsequent.

Welche Rolle spielen Digitalisierung und IT in deinem Leben als Sportler?

Stäbler: Vor allem im Zusammenhang mit der Leistungsdiagnostik eine sehr große. In den letzten fünf, sechs, sieben Jahren wurde die Sportwissenschaft ein immer engerer Begleiter, aber für mich gab es persönlich auch irgendwann Grenzen. Zu einem Zeitpunkt war ich amtierender Weltmeister und die Diagnostik hat ergeben, dass meine Kraft- und Ausdauerwerte nicht gut waren. Das konnte ich nicht verstehen. Dennoch, das ist ein wichtiger Teil meiner Leistung. Dazu kommen aber auch nicht messbare Faktoren wie Leidenschaft und Motivation.

Auch bei der langfristigen Planung kann IT behilflich sein. Hast du darauf zurückgegriffen?

Stäbler: Persönlich bin ich eher der Typ für Stift und Papier. Ich habe immer ein kleines Buch dabei, in das ich alles Wichtige reinschreibe. Aber natürlich hat mein Trainer die Trainingspläne digitalisiert. So wusste ich – wussten wir – immer, was ansteht, auf welches Ziel wir gerade hinarbeiten und wo wir wann Schwerpunkte setzen.

Das scheint gut geklappt zu haben …

Stäbler (lacht): Auf jeden Fall. Die olympische Medaille war ein Lebenstraum. Das Gefühl, dieses Ziel erreicht zu haben, unglaublich. Für Viele ist das wahrscheinlich nicht greifbar, aber ich habe so etwas wie Frieden gespürt. Ich wollte in Tokio meinen Frieden finden; mit mir selbst, meinem Sport, meinem Karriereende. Das war meine Vision und das hat geklappt. Ich war schlicht glückselig, habe die Schuhe auf die Matte gestellt und geweint. Neben der Geburt meiner Kinder, war das der schönste Moment meines Lebens. Ich war vollkommen frei.

 

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