Der Cloud-Markt ist einer der dynamischsten Schauplätze der Digitalisierung: Welche Entwicklungen haben ihn in den vergangenen Jahren am meisten geprägt?
Melanie Schüle: Eine Vielzahl von Angeboten und die weitreichende Idee des Cloud Computing waren natürlich schon lange vor der Pandemie vorhanden, aber in der Breite noch nicht so greifbar. Die Entwicklungen seither haben die Cloud-Nutzung erheblich befeuert. Es ging zunächst darum, in schwierigen Situationen connected zu bleiben, produktiv zu bleiben – unabhängig vom Standort und den Aufgaben. Das war mit klassischen Office-Modellen einfach nicht mehr zu realisieren.
Wir haben auf Basis der Cloud zahlreichen Unternehmen, Schulen und Verwaltungen teils innerhalb weniger Stunden geholfen, arbeitsfähig zu bleiben. Das war enorm wichtig. Gleichzeitig war das für viele der Anstoß, sich mit der Cloud intensiver auseinanderzusetzen.
Das Bewusstsein für das Mehr – ich sage auch gerne: das Meer – an Möglichkeiten ist dadurch stark gewachsen. Dies nun mit Themen wie Security und Compliance kontinuierlich weiterzuentwickeln und in nachhaltigen Lösungen zu verankern, ist eine der wesentlichen Aufgaben, die daraus resultieren.
Melanie Schüle ist seit 2018 Geschäftsführerin der Bechtle Clouds GmbH, die die Aktivitäten von Bechtle als Multi-Cloud-Dienstleister entscheidend unterstützt. Sie startete ihre Karriere bei Bechtle im Produktmanagement für einen strategischer Herstellerpartner, verantwortete später die Netzwerklösungsstrategie von Bechtle und etablierte neue Geschäftsmodelle, wie zum Beispiel das IT-Business Architect Program, das eines der wichtigsten Differenzierungsmerkmale von Bechtle im Markt ist. Melanie Schüle ist verheiratet und hat zwei Söhne.
Alexander Wallner: Ich kann das nur unterstreichen. Vor allem das Thema IT-Security ist brandheiß, die Einschläge kommen bedrohlich näher. Deshalb ist es wichtig, unseren Kunden zu verdeutlichen, dass ihre Daten bei uns sicher – vielleicht sogar sicherer als in ihren eigenen Datacentern – sind. Security ist zur Kernkompetenz der IT geworden, da sie unternehmens- und businesskritisch ist. Unternehmensführungen fordern von ihren CIOs heute eine geschlossenes Sicherheitskonzept.
In puncto Cloud-Adaption sehe ich ebenfalls positive Effekte in den vergangenen Jahren. Dennoch habe ich den Eindruck, dass Innovationsprojekte hierzulande noch nicht so schnell vorangehen, wie es für den Wirtschaftsstandort Deutschland wünschenswert wäre. Ganz im Gegenteil: Die Corona-Pandemie hat eher zu einem Innovations-Stau in Deutschland geführt.
Im internationalen Wettbewerb sind Regionen wie Asien und Nordamerika schon deutlich weiter, zum Beispiel in der Nutzung von Künstlicher Intelligenz. Das erhöht den Druck, die Lücken noch schneller zu schließen. Die digitale Transformation ist sicherlich gestartet und erfährt – auch von der neuen Bundesregierung – an Zuspruch. Sie ist aber beileibe noch nicht am Ziel. 2022 wird ein wegweisendes Jahr.
Wie weit sind Unternehmen und öffentliche Auftraggeber in ihrer Cloud-Transformation – sondieren sie noch ihre Cloud-Strategien oder liegt der Fuß bereits auf dem Gaspedal?
Alexander Wallner: Aus vielen Gesprächen wissen wir, dass Kunden die Cloud nahezu ausnahmslos als wichtige Ressource erkennen und als festen Bestandteil der IT-Strategie definieren. Jedoch ist die Annahme, dass deshalb alle genau wissen, was sie aus der Cloud benötigen, nicht zutreffend. Hier sind zwei Effekte spürbar: Auf Kundenseite sind nicht ausreichend Fachkräfte vorhanden, um aus der Cloud Innovation zu heben. Zudem sind viele Akteure in Deutschland nicht „born in the cloud“. Das heißt, es besteht eine gewisse Legacy-IT, die cloudfähig gemacht werden muss oder aber dafür gar nicht geeignet ist. Damit gehen viele Herausforderungen einher, die noch abseits der ganzen Möglichkeiten liegen, die die Cloud als fantastischer Technologiestack bietet.
Melanie Schüle: Das deckt sich mit unseren Erfahrungen: Der Wunsch, in die Cloud zu gehen, zieht sich durch wie ein roter Faden. Vor einigen Jahren lag die Sache noch etwas anders. Insbesondere in Deutschland hat sich ein deutlicher Wandel vollzogen, gerade auch, wenn wir auf den Public Sector schauen. Für viele gilt es jetzt, den Einstieg richtig zu meistern. Die Exzellenz deutscher Unternehmen in Fertigungsindustrie, Handel und weiteren Branchen trifft dabei auf eine sich rasant entwickelnde Cloud-Technologie. Wir unterstützen unsere Kund dabei, ihre Cloud-Journey transparent und kontrollierbar zu planen und zu gestalten.
Alexander Wallner ist seit Juli 2021 CEO der plusserver-Gruppe. Neben der Leitung der operativen Geschäftsstrategie ist er für das Go-to-Market der Produkte und Lösungen sowie für den Ausbau des starken Partner-Ökosystems verantwortlich. Er verfügt über mehr als 20 Jahre Erfahrung im deutschen und europäischen IT-Markt sowie im Ausbau und der Führung von Vertriebsteams.
Was treibt Unternehmen und öffentliche Auftraggeber dabei am meisten um?
Alexander Wallner: Es ist wichtig, im Kundendialog die Diskussion rund um die Daten zu zentrieren, nicht um die Infrastruktur. Denn die Daten sind das, was sie am meisten umtreibt – und worin auch die größten Wettbewerbsvorteile durch die Cloud-Nutzung liegen.
Die Realität heute ist aber, dass viele Unternehmen noch kein klares Bild von ihren Daten haben: Wo kommen die Daten her? Haben wir eine Datenhierarchie und eine Klassifizierung? Welche Daten dürfen außerhalb Deutschlands liegen und bei welchen würde uns das große Bauchschmerzen bereiten?
Wenn wir es schaffen, das Thema Daten zu entmystifizieren und ein klares Verständnis dafür zu entwickeln, wo die Datentöpfe sind, wo sie herkommen und im Zeitalter des Internet of Things künftig entstehen werden, sind wir einen erheblichen Schritt weiter, um deren Potenzial zu nutzen.
Melanie Schüle: Das Thema Datensouveränität spielt eine sehr große Rolle. Eng verknüpft mit IT-Sicherheit und Compliance sind sie unverzichtbare Faktoren auf dem Weg in die Cloud. Das steht in einem gewissen Spannungsfeld zur hohen Geschwindigkeit und maximalen Vielfalt, die die Digitalisierung generell vorgibt und die zuletzt noch einmal an Fahrt gewonnen hat.
Deshalb ist es entscheidend, Kunden umfassend zu beraten und ganzheitlichen Lösungen aufzuzeigen, die ihre Anforderungen auf technologischer Seite wie auch hinsichtlich der rechtlichen Compliance bis ins Detail erfüllen können.
Stichwort digitale Souveränität: plusserver ist Gründungsmitglied der europäischen Gaia-X-Initiative, die sich genau diesem Thema verschrieben hat. Herr Wallner, warum hat sich Ihr Unternehmen vom Start weg in der Initiative engagiert?
Alexander Wallner: Gaia-X hat zunächst ganz gezielt auch mittelgroße Cloud-Anbieter aus Deutschland und Europa zusammengebracht. Eines der Ziele war, ein europäisches Gegengewicht zu den weltweit dominierenden Cloud-Anbietern zu bilden sowie die Wettbewerbsfähigkeit und Unabhängig europäischer Player zu stärken. Meiner Meinung war es aber das einzig Richtige, die Initiative auch für die US-Hersteller offenzuhalten. Es ist ja nie ein Entweder-oder, sondern es geht darum, in Europa selbst „Intellectual Property“ aufzubauen und zugleich kooperativ die Mehrwerte der führenden Technologieunternehmen in die Angebote für unsere Kunden zu integrieren.
Ein sehr wichtiger Bestandteil von Gaia-X ist die Zusammenarbeit am Sovereign Cloud Stack (SCS), wo wir im Bereich Open Source mit anderen Unternehmen eine eigenständige Entwicklung vorantreiben. Dabei geht es nicht um die Schaffung einer proprietären Architektur oder die Adaption bereits bestehender Technologie-Stacks. Wir treiben hier wirklich eigene Entwicklungen voran, die uns dann auch die Möglichkeit geben, zu skalieren und zu hyperskalieren. Hierin steckt wahrscheinlich der maßgebliche Innovationstreiber für das Projekt einer europäischen Cloud.
Wie sieht die Mitarbeit an der Entwicklung solcher technologischen Standards wie dem Souvereign Cloud Stack (SCS) konkret aus?
Alexander Wallner: Wir sind daran mit einer eigenen Entwicklungs- und Architektur-Einheit beteiligt, die ausschließlich an diesem Projekt arbeitet. Ziel ist, daraus konkrete Angebote zu entwickeln, die eine Alternative für den Betrieb von Infrastructure-as-a-Service (IaaS) und Platform-as-a-Service (PaaS) bieten. Von einigen Kundengruppen wie zum Beispiel aus dem Public Sector wird das auch zunehmend gefordert. Die Aktivitäten als Technologieentwickler sind für uns auch wichtig, um uns im Markt durch eigene Kompetenzen abzugrenzen, weshalb wir zum Beispiel auch bewusst auf Offshoring verzichten, um Kompetenzen und Intellectual Property in Deutschland zu fördern.
Melanie Schüle: Der Ansatz, mutig und kundenorientiert in eigene Kompetenzen und Angebote zu investieren, ist auch einer der Gründe, warum plusserver und Bechtle hervorragend zusammenpassen. Mit unserer eigenständig entwickelten Bechtle Clouds-Plattform haben wir den Bezug und das Management von Cloud-Services unterschiedlicher Hersteller für unsere Kunden erheblich vereinfacht. Über die Service Factory stellen wir zudem eine beständig wachsende Zahl von Cloud-Angeboten als vollständig gemanagte Services bereit. Daraus entstehen hervorragende Anknüpfungspunkte, um die Aktivitäten von plusserver und Bechtle optimal aufeinander abzustimmen. Die nächsten Schritte sind die gemeinsame Entwicklung von Dienstleistungen und Lösungsszenarien, um für unsere Kunden weitere Mehrwerte zu schaffen und ihnen den Einstieg und die Nutzung so einfach und so vielfältig wie nur möglich zu gestalten.
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