Sven Plöger studierte an der Universität zu Köln Meteorologie und moderiert seit mehr als 20 Jahre in der ARD und ihren dritten Programmen Wettersendungen. Das komplexe Thema Klimawandel für jede und jeden zu „übersetzen“, ist ihm ein großes Anliegen. Deshalb klärt der Wetterexperte auch in Vorträgen und Publikationen in verständlicher Sprache auf. Sein Buch „Zieht euch warm an, es wird heiß! Den Klimawandel verstehen und aus der Krise für die Welt von morgen lernen“ war 42 Wochen lang in der Spiegel Bestseller-Liste.
Herr Plöger, der Wissenschaft sind Klimawandel und dessen Folgen seit Jahren bekannt, in der breiten Bevölkerung kommt das Thema erst seit etwa vier Jahren an. Woran liegt das?
Wir haben seit 40 Jahren in der Wissenschaft einen sehr guten Kenntnisstand über den Klimawandel. Doch das war vielen zu abstrakt. Was uns erschüttert, sind extreme, oft tragische Wetterereignisse, wie die Flut im Ahrtal. Oder die heißen, trockenen Sommer. Wir können diese Ereignisse wortwörtlich sehen und spüren, die Haptik wird größer und somit auch die Erkenntnis. Man könnte auch sagen: Die Atmosphäre „weckt“ uns gerade auf.
Wollten Sie mit Ihrem Buchtitel: „Zieht euch warm an, es wird heiß!“ auch uns aufwecken?
Ich möchte aufklären und sensibilisieren, vielleicht auch ein bisschen wachrütteln. Denn es ist nie zu spät. Ich sehe es als unsere Aufgabe, den Planeten, auf dem wir leben, enkelfähig zu machen. Es ist tragisch, aber man muss es so klar sagen: Wir werden das auf der Klimakonferenz 2015 in Paris beschlossene 1,5-Grad-Ziel nicht erreichen. Nach einer Studie der WMO (Weltorganisation für Meteorologie) werden wir die 1,5 Grad mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent erstmals 2026 überschreiten.
Die Atmosphäre weckt uns gerade auf.
Sven Plöger
Wie hängen Wetter und Klima zusammen?
Das Wetter bestimmt unser Klima. Ob es heute bei uns vor Ort regnet, die Sonne scheint oder es stark windet, das ist unser Wetter. Der Begriff Klima betrachtet die Gesamtheit aller Wetterereignisse. Und das nicht nur über einen längeren Zeitraum von mindestens 30 Jahren, sondern auch in einem größeren Gebiet. Ist dieses Gebiet der ganze Erdball, dann spricht man vom globalen Klima. Der übliche Wetterverlauf während eines Jahres, zum Beispiel in Deutschland, spiegelt unser regionales Klima wider.
Was ist die Ursache für Wetterextreme?
Die Arktis erwärmt sich schneller als andere Regionen der Nordhalbkugel. Dadurch verschwindet das Eis immer schneller. Weil Eis für die Sonneneinstrahlung aber wie ein Spiegel wirkt und es einen großen Teil sofort zurück ins Weltall wirft, hat sein Rückgang massive Auswirkungen, denn wir verkleinern quasi den Spiegel. Diese regionale, überproportionale Erwärmung führt am Ende zu Veränderungen bei den Strömungsmustern in der Atmosphäre, die die Unterschiede stets ausgleichen möchten. Dadurch werden unsere Hochs und Tiefs langsamer. Hält sich lange ein Hoch, so bedeutet das im Sommer Dürre und Hitze, hält sich lange das Tief, so sind Starkregen und Überschwemmungen die Folge.
Was bedeutet eigentlich das 1,5-Grad-Ziel?
Das 1,5-Grad-Ziel bedeutet, den menschengemachten weltweiten Temperaturanstieg durch den Ausstoß von Treibhausgasen bis zum Jahr 2100 auf durchschnittlich 1,5 Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter, also der mittleren Temperatur der Jahre von 1850 bis 1900, zu begrenzen. Seitdem hat sich die Temperatur global aber schon um 1,2 Grad erhöht und wie sich das auswirkt, erleben wir jetzt. Bei einer 2-Grad-Erwärmung nehmen extreme Wetterlagen oder lang anhaltende Dürreperioden noch deutlich zu, aber natürlich weniger als bei etwa 3 Grad. Wir haben Chancen, zumindest diese 2 Grad zu erreichen.
Und wie können wir das schaffen?
Wir haben schon einiges erreicht. Vor 20 Jahren bestand noch die Möglichkeit, dass sich die Atmosphäre um vier, im Extremfall sogar bis zu sechs Grad erwärmen könnte, jetzt sind wir immerhin auf einem Pfad von 2,7 Grad. Reichen tut das nicht, wenn wir den nachfolgenden Generationen ein einigermaßen vernünftiges Umfeld bieten wollen. Deshalb müssten wir jetzt wirklich konsequent handeln und uns auf der Weltbühne entschlossen einigen. Auch wenn mir die kollektive Einsicht der Menschheit am besten gefiele, es wird sie nicht geben.
Was schlagen Sie vor?
Klimaschutz muss ein Geschäftsmodell werden, sozusagen ein Jahrhundertgeschäft, wo alle mitmachen wollen. Dafür müssen wir hin zu einer ökologisch-sozialen Marktwirtschaft, und jede und jeder Einzelne muss sein Verhalten überdenken. Ich nenne mal ein Beispiel. Der hohe Fleischkonsum und der Wunsch, dieses wertvolle Lebensmittel als billige Massenware anzubieten, führt zum Abholzen des Regenwaldes am Amazonas. Dort werden Sojafelder für die Tiermast angelegt. Das könnte am Ende dazu beitragen, dass dieser für diese Erde und seine Lebewesen so wichtige Lebensraum verschwindet.
Dazu bedarf es auch einer neuen Grundhaltung.
Absolut. Wir Menschen müssen die Tragweite begreifen und das führt automatisch zur Erkenntnis, dass ein „weiter so“ nicht funktionieren kann, das würde unseren Wohlstand einfach einkassieren. Mit technischer Entwicklung können wir sicher hier und da gegensteuern, aber ohne parallel stattfindende Verhaltensänderung wird es nicht gehen. In Deutschland haben wir einen gesunden, großen Mittelstand und bei vielen Veranstaltungen, wo ich zu Gast bin, sehe ich, wie positiv sich die Denkweise einiger Firmengründer:innen verändert hat, jetzt wo sie Enkel haben. Das ist von fundamentaler Bedeutung, denn eine Vielzahl von Studien zeigt, dass jeder nicht vernünftig in den Klimaschutz gesteckte Euro später mit zwei bis zu elf Euro zurückgezahlt werden muss.
Können Sie uns ein Beispiel geben, was Unternehmen tun können?
Es gibt unzählige Möglichkeiten, etwas zu tun. Mehr Grün in den Städten, weniger Fläche versiegeln oder den Datenverbrauch verringern. Die Digitalisierung frisst enorm viel Strom. Hier kann man ansetzen – wie viele Daten müssen wirklich ständig um den Erdball kreisen? Ich denke deshalb an grüne Rechenzentren, energieeffiziente Geräte oder die sinnvolle Nutzung von Hardware. Nichts weniger als eine Transformation in fast allen Lebensbereichen ist erforderlich, um nachhaltig zu werden. Die Möglichkeiten sind da, aber wir müssen sie nun anpacken!
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